Die Abstimmung zur Pflegeinitiative – mehr als nur eine wichtige Abstimmungsvorlage

Im Rahmen der Volksabstimmung über die Initiative «Für eine starke Pflege» hat sich H+ letzten Herbst aktiv im Abstimmungskampf engagiert. Die Devise lautete: Nein zur Pflegeinitiative – mit dem Gegenvorschlag sofort für eine starke Pflege.

Die COVID-Pandemie hat in den letzten zwei Jahren die Bedeutung der Pflege für die Gesundheitsversorgung ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Der Mangel an Pflegefachpersonal in der Schweiz muss behoben werden – darin sind sich alle einig. Die Schweiz bildet heute zu wenig Pflegepersonal aus und verzeichnet eine hohe Austrittsquote – über 40 Prozent verlassen den Beruf vorzeitig. Im Mai 2021 wurde bekannt, dass die Initianten die Pflegeinitiative trotz des breit abgestützten Gegenvorschlags aus dem Parlament, an dessen Ausarbeitung der Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) stark beteiligt war, nicht zurückziehen. An der politischen Ausarbeitung des mehrheitsfähigen Gegenvorschlags war H+ als nationaler Spitalverband massgeblich beteiligt.

Die Gretchen-Frage: Ist die Initiative die angemessene Antwort auf den Pflegenotstand?
Die Initianten der Pflegeinitiative forderten die verfassungsrechtliche Verankerung der Förderung der Pflege. Der Bund soll gemäss Initiative nicht nur dem Fachkräftemangel Abhilfe schaffen, sondern auch über Löhne, Arbeitsbedingungen und Personalschlüssel bestimmen. Der von Bund und Parlament ausgearbeitete (indirekte) Gegenvorschlag hingegen beschränkte sich auf eine Ausbildungsoffensive, die für die Aus- und Weiterbildung Investitionen von rund einer Milliarde Franken über acht Jahre vorgesehen hätte. Ausserdem sollten Pflegefachpersonen bei der Abrechnung bestimmter Leistungen mit der obligatorischen Krankenkasse auf eine ärztliche Verordnung verzichten können. Aus Sicht der Befürworterinnen und Befürworter des Gegenvorschlags sind die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und nach einem Personalschlüssel über den sozialpartnerschaftlichen Dialog umzusetzen und nicht mit einer Verfassungsänderung.

Die Initianten nutzten aber in der Pandemie die Gunst der Stunde und gewannen die Abstimmung am 28. November 2021 mit einem historischen Resultat. Mit dem Gegenvorschlag lag eine konsolidierte, verbindliche und sofort umsetzbare Vorlage zur sofortigen Entschärfung des Fachkräftemangels auf dem Tisch. Dieser blieb aber neben der Initiative chancenlos.

Am 12. Januar 2022 entschied der Bundesrat, den Verfassungsartikel in zwei Etappen umzusetzen. In einer ersten Etappe sollen Elemente des indirekten Gegenvorschlags betreffend Ausbildungsoffensive und Kompetenzerweiterung der Pflegefachpersonen rasch und ohne Vernehmlassung wieder aufgenommen werden. Hingegen benötigen die Anliegen bezüglich anforderungsgerechter Arbeitsbedingungen und einer angemessenen Abgeltung aus Sicht des Bundesrates längere und vertiefte Abklärungen. Diese sollen in einer zweiten Etappe umgesetzt werden. Damit bestätigt sich die Einschätzung, dass der politisch austarierte Gegenvorschlag der angespannten Lage im Pflegebereich Rechnung trägt und damit die Stärkung der Pflege bis zur vollständigen Umsetzung der Initiative katalysieren kann. 

H+ als Arbeitgeberorganisation an vorderster Front aktiv
H+ wollte den Anliegen der Pflegenden unbedingt Rechnung tragen und setzte sich deshalb im Abstimmungskampf für den indirekten Gegenvorschlag ein. An zahlreichen Anlässen, Podiumsgesprächen und Fernsehsendungen konnte H+ die Vorteile des indirekten Gegenvorschlags verständlich machen. Es war H+ wichtig, die Anliegen der Arbeitgeberorganisationen in die Debatte einzubringen. Darüber hinaus konnte H+ wertvolle Erfahrungen im Bereich «Campaigning» sammeln und ist nun gestärkt für zukünftige Abstimmungskampagnen. 

Im Rahmen der Debatte zur Umsetzung der Pflegeinitiative wird sich H+ weiterhin als Arbeitgeberorganisation einsetzen. Beispielsweise dafür, dass der grosszügige Vorschlag vom Parlament, im Rahmen des Gegenvorschlags für die Ausbildungsoffensive einen Kreditrahmen von 938 Millionen zur Verfügung zu stellen, in der ersten Etappe ohne Abstriche verabschiedet wird. Die Forderungen der Pflegeinitiative nach einer angemessenen Abgeltung der Pflegeleistungen und anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen werden erwartungsgemäss Kopfzerbrechen bereiten. Wie der Bundesrat in seiner Medienmitteilung vom 12.1.2022 zu Recht feststellte, liegen diese Themen hauptsächlich in der Zuständigkeit der Kantone, der Betriebe und der Sozialpartner, d.h. der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände. Wie der Bund in diese verfassungsmässig garantierten Zuständigkeiten eingreifen kann, wird die mit einer Lösungsfindung beauftragten Behörden vor grosse Herausforderungen stellen. Letztlich sind zu diesem Zweck KVG-konforme finanzielle und tarifarische Rahmenbedingungen für die Spitäler zu schaffen. Diese Voraussetzung ist zum heutigen Zeitpunkt klar nicht erfüllt. Solange die Tarife die Kosten von effizient erbrachten Leistungen nicht decken, werden die Bemühungen zur Umsetzung der Forderungen, die über den indirekten Gegenvorschlag hinausgehen, vergeblich sein. Die verfassungsmässige Verankerung der Forderungen der Pflegeinitiative bewirkt damit also nur wenig.

Kontakt

Cheryl von Arx
Fachverantwortliche Politik